Hinweis: Dieser Artikel ist eine Ergänzung zu dem Artikel: „Buchrezension: Wenn alles zusammenbricht

Mitgefühl

Das Mitgefühl zieht sich wie ein roter Faden durch den Buddhismus. Im ersten Teil der Zusammenfassung wurde bereits betont, wie wichtig es ist, sich selbst gegenüber Mitgefühl zu entwickeln. Dies ist sowohl in der Meditation, als auch im alltäglichen Leben relevant. In den folgenden Kapiteln greift Chödrön diesen Gedanken wieder auf und stellt konkrete Übungen vor, mit denen man das Mitgefühl gezielt kultivieren kann.

Wie können wir anderen helfen?

Unser normales Verständnis von Mitgefühl ist, dass wir mit anderen Menschen, denen es schlechter geht, mitfühlen und leiden. Und ihnen im besten Fall dann helfen.

Diese Hilfe ist jedoch nicht ohne: Denn um einem Menschen wirklich helfen zu können, sollte man offen sein und seine Gefühle zulassen können. Ist man in seiner eigenen Version der Wirklichkeit, kann man nicht angemessen, hören, sehen und fühlen. Früher oder später bringen leidende Menschen dann in einem selbst unerledigte Angelegenheiten zum Vorschein.

Es läuft letztlich alles darauf hinaus, dass in dem Maße, wie wir Mitgefühl mit uns selbst haben, wir auch Mitgefühl für andere empfinden. Jede Hilfe für andere Menschen beginnt daher zunächst mit der Arbeit an sich selbst.

Wie können wir unser Mitgefühl kultivieren?

Ausgangspunkt von allem sollte immer das Verständnis sein, dass man für alles selbst verantwortlich ist. Und das Leid immer das Ergebnis von sturem Festhalten ist. Wir halten an fixierten Meinungen fest und geben als Ausweg für uns selbst häufig anderen die Schuld.

Das Zuweisen von Schuld führt dazu, dass wir eine Barriere zwischen uns und anderen aufbauen und unsere Vorstellung von Recht und Unrecht immer weiter verstärken. In der Konsequenz kommunizieren wir nicht aufrichtig. Auf der anderen Seite tun wir alles, um unseren Standpunkt und unsere Meinungen zu festigen. Wir wollen richtig liegen, Recht haben und uns wohl fühlen. Alles muss entweder richtig oder falsch sein.

Genau diese Prozesse gilt es zu beobachten und wahrzunehmen:

  • Wie fühlt sich Ablehnung an? Wie fühlt sich selbstgerechte Entrüstung an?
  • Wie fühlt es sich an Recht zu haben? Wie fühlt es sich an, wenn jemand einem nicht zustimmt?
  • Wie fühlt es sich an Unrecht zu haben?

Und dann geht es darum, zu erkennen, dass wir nicht alles in falsch oder richtig einkategorisieren müssen. Zu erkennen, dass genau dieses Einkategorisieren letztlich dem Bedürfnis nach einer Art Sicherheit geschuldet ist. Und zu erkennen, dass alles mehrdeutig ist, sich wandelt und nichts Absolutes vorhanden ist.

Ausgangspunkt von all diesem ist wie immer: Die Bereitschaft das, was wir erleben, auch tatsächlich zu fühlen. Die Bereitschaft den Dingen, die wir normalerweise ablehnen, offen, mitfühlend und achtsam zu begegnen.

Mitgefühl mit allen Lebewesen

Im Buddhismus gibt es darüber hinausgehend noch eine speziellere Form des Mitgefühls: Bodhichitta (edles oder erwachtes Herz). Bei Bodhichitta empfindet man das Leid von anderen mit und entdeckt seine Verwandtschaft mit allen fühlenden Wesen. 

„Die Solidarität mit dem Leiden anderer, die Unfähigkeit, distanzierter Beobachter zu bleiben, ist die Entdeckung unseres weichen Kerns, die Entdeckung von Bodhichitta.“

Normalerweise ist der Zugang zu Bodhichitta in uns jedoch versperrt: Wir schützen uns zu sehr vor jeglichem Leid, was uns ängstlicher macht und uns entfremdet. Wir bleiben bei unseren persönlichen Vorlieben und Abneigungen und unsere Fürsorge ist auf unsere nächsten Menschen beschränkt.

Wir bauen uns einen Panzer, der die Zärtlichkeit unseres Herzens erstickt. Im Endeffekt führt dieser Schutz vor dem Leiden nur noch zu mehr Leid. 

Entdeckung von Bodhichitta

Tatsächlich kann man Bodhichitta in unterschiedlichen Situationen entdecken. Gerade in sehr schweren Zeiten, wenn man alle Hoffnung aufgeben hat, kann man „Heilung in der Zartheit des Schmerzes“ finden. Sobald man anfängt sich dem Schmerz zu öffnen, entdeckt man den Schmerz aller Lebewesen. Sobald man aufhört gegen Dinge und andere Menschen zu kämpfen, kommt Bodhichitta von allein zum Vorschein. Doch auch in alltäglichen Situationen der Fürsorglichkeit und Wertschätzung kommt Bodhichitta hervor. Bspw. wenn wir innehalten und den blauen Himmel bemerken oder uns in Zeiten der Dankbarkeit an die Freundlichkeit von jemandem erinnern:

„Wann immer wir das Festklammern an uns selbst loslassen und die Welt um uns herum betrachten, wann immer wir die Sorge berühren, wann immer wir die Freude berühren, wann immer wir unseren Groll und unsere Beschwerden loslassen- das sind die Augenblicke, in denen Bodhichitta lebendig ist.“

Übung von Bodhichitta: Tonglen

Auch Bodhichitta lässt sich üben. Eine spezielle Übung dafür ist: Tonglen (Geben und Nehmen). Bei Tonglen bringt man sich mit Leiden in Kontakt – dem eigenen und dem von anderen Menschen. Dies gelingt mit Mitgefühl.

Die Übung umfasst Schmerz anzunehmen und Glück auszusenden. (Letztlich das Gegenteil von dem, wie man sich normalerweise verhält). Konkret:
Wir überlegen uns jemanden, dessen Leid wir lindern möchten. Dann atmen wir das Leid desjenigen ein, damit es ihm gut geht und er sich öffnen kann. Beim Ausatmen senden wir Entspannung und alles, was dem Anderen Linderung verschaffen könnte.

Die Übung lässt sich jederzeit durchführen, ob bei einem Spaziergang oder bei der formellen Meditation. Bei letzterer geht man wie folgt vor:

  1. Man lässt den Geist kurz in Offenheit ruhen
  2. Einatmen eines heißen, dunkeln und schweren Gefühls
  3. Ausatmen eines kühlen, hellen und leichten Gefühls
  4. Arbeiten mit einer persönlichen Situation (einem der einem nahesteht, sich selbst etc.)
  5. Ausdehnen der Übung auf noch mehr Menschen: Fremde, Feinde (unendlich möglich)

Es kann gut sein, dass die Übung nicht so funktioniert, wie sie soll. Denn häufig sind wir mit uns und unseren eigenen negativen Gefühlen konfrontiert. In einer solchen Situation nimmt man den eigenen Schmerz und bezieht ihn auf alle Menschen, denen es gerade auch so geht. Dann geht man in gleicher Weise vor: Man atmet diesen Schmerz für alle Menschen (auch sich selbst) ein und sendet Linderung beim Ausatmen aus. Nach Möglichkeit kann man dem Schmerz, den man empfindet, einen Namen geben, bspw. „Zorn“. Damit schafft man einen besseren Zugang, um mit den Schmerzen umzugehen.

„Der Schmerz bringt unsere eigene Angst und unseren Zorn zum Vorschein; er konfrontiert uns mit unseren eigenen Widerständen und unserer Verwirrung. Sofort können wir dann Tonglen für alle üben, denen es genauso geht wie uns, für alle also, die mitfühlend sein wollen, aber ängstlich sind, die mutig sein möchten, aber feige sind. Statt uns selbst abzukanzeln, können wir unsere persönliche Unbeweglichkeit als Sprungbrett nutzen, um zu verstehen, womit Menschen in der ganzen Welt zu kämpfen haben.“

Die Übung fällt vielen Menschen nicht einfach, denn in der Regel sind wir auf uns selbst fixiert, sorgen uns nicht um andere und versuchen Leid aus dem Weg zu gehen. Mit Tonglen befreit man sich von diesen Gewohnheitsmustern und löst seine Schichten des Selbstschutzes auf, die einem im Endeffekt nur selbst schaden. Das Mitgefühl wächst und man beginnt sich selbst und andere zu lieben und für sie zu sorgen. Und damit kommt wächst gleichzeitig die Erkenntnis, dass alles weniger solid ist, als wir glauben.

 

Die sechs Paramitas

In der Abhandlung über das Mitgefühl wurde hervorgehoben, dass Mitgefühl nur stattfinden kann, wenn man sich von seinen üblichen Gewohnheiten löst. Dies kann mit den sechs Paramitas gelingen. Diese stellen Handlungen dar, die transzendent sind, d.h. über konventionelle dualistische Ansichten hinausgehen, damit zum Loslösen von Gewohnheiten und letztlich zur Befreiung von unserem Leid führen.

Vor allem das sechste Paramita ist hervorzuheben: Prajna (=Weisheit). Prajna bildet gewissermaßen die Klammer um die anderen fünf Paramitas. Mit Prajna erkennt man, ob man die anderen Paramitas nur nutzt und missbraucht, um Sicherheit zu gewinnen. Denn darum, geht es bei dem spirituellen Weg gerade nicht. Genauso wie es nicht darum geht, dass man die Dinge tut, um Erfolg zu haben, Regeln zu befolgen oder einem Ideal gerecht zu werden. Stattdessen geht es darum, alles zu betrachten und zu erforschen, was kommt, unabhängig davon ob es Freude oder Leid ist. Und selbst inmitten des größten Sturms mit dem Kämpfen aufzuhören und sich zu entspannen.

Das Erste Paramita: Großzügigkeit

Oft horten wir Dinge, weil wir uns selbst unfähig und wertlos fühlen; wir haben Angst etwas zu verlieren und uns noch ärmer zu fühlen. Daher klammern wir und greifen und das führt zu sehr viel Leid.

Das erste Paramita schlägt daher einen anderen Weg vor: Es weist uns an, größer zu denken und loszulassen. Denn: Grundlegender Reichtum ist in allem verfügbar, sei es eine Wolke am Himmel, ein Geruch, eine Erinnerung. Der Schlüssel ist, sich in diesen Momenten zu entspannen und nicht zu urteilen und zu überlegen, ob man mit etwas übereinstimmt oder nicht. Sobald man mit diesem grundlegenden Reichtum in Kontakt gekommen ist, öffnet man sich und lässt sich berühren. Im Alltag erfährt man diese Zustände bspw. als Flexibilität und Warmherzigkeit.

Auch auf der äußeren Ebene kann man das Paramita leben: Indem man bspw. Sachen verschenkt, die einem besonders wichtig sind und von denen man glaubt, sich nicht trennen zu können. In dieser Weise kann das tief gewurzelte Gewohnheitsmuster des Festhaltens gelockert werden.

Das Zweite Paramita: Disziplin

Bei der Disziplin geht es um vollständige Präsenz, ohne Strenge, aber mit Weisheit. Auf der äußeren Ebene kann das bedeuten, dass man sich diszipliniert für 30 min. zum Meditieren hinsetzt. Auf der inneren Ebene bedeutet Disziplin die ständige Rückkehr zu Sanftheit, Aufrichtigkeit und Loslassen. Die Herausforderung besteht darin, das Gleichgewicht zwischen nicht zu fest und nicht zu locker zu finden.

Das dritte Paramita: Geduld

Geduld ist das Gegenmittel zum Zorn: Ein Weg zu mehr Wertschätzung und Liebe für alles, was uns begegnet. Geduld bedeutet, nicht augenblicklich auf alles zu reagieren, aufzuspringen und den sich ergebenden offenen Raum zuzuschütten. Stattdessen bedeutet Geduld sich jeder Situation zu öffnen und sie genau zu betrachten.

Eine Übung für Geduld ist Tonglen. Statt wie beschrieben gewohnheitsmäßig auf Dinge zu reagieren, kann man zunächst Tonglen üben – und damit das übliche Gewohnheitsmuster NICHT geschehen lassen.

Das vierte Paramita: Eifer

Sobald man anfängt Eifer zu üben, spürt man, wie es ab und zu gelingt – und ab und zu nicht. Wichtig ist, dass man sich nicht zwingt, sondern den Eifer ganz natürlich spürt.

„Eifer bedeutet, mit unserem Hunger nach Erleuchtung in Kontakt zu kommen.“

In dieser Weise ermöglicht er uns, aktiv zu werden, zu geben und mit Wertschätzung zu handeln.

Das fünfte Paramita: Meditation

Die Bedeutung der Meditation wurde in vorhergehenden Kapiteln bereits erläutert. Meditation ist grundlegend, da sie uns mit einer unkonditionierten Ebene des Nichtgreifens, Nichtzurückweisens in Kontakt bringt. Meditation ist gewaltlos und aggressionsfrei. In dem nach und nach immer größer werdenden Raum innerhalb der Meditation liegt die Basis für wirkliche Veränderung – die Quelle von Mitgefühl und aller Inspiration

Während man diese Paramitas nach und nach mehr in seinem Leben lebt, kommt gelegentlich die Sehnsucht nach alten Gewohnheiten auf. Wenn wir bspw. mit Großzügigkeit arbeiten, begegnen wir der Nostalgie für das Festhalten. Diese Nostalgie gilt es einfach zuzulassen. Denn letztlich gibt es für alles einen Platz auf dem spirituellen Weg. Jahr für Jahr legt man jedoch mehr und mehr Teile seines Panzers ab und dringt weiter in die Bodenlosigkeit vor.

 

Meinungen

Unsere Meinungen sind das, was das ich ausmacht und was wir in der Regel für solide, real und für die absolute Wirklichkeit halten.

„Häufig sind sie verurteilend oder kritisch; manchmal sagen sie wie nett oder perfekt etwas ist. Auf jeden Fall haben wir jede Menge Meinungen.“

Im Alltag geben wir unseren Meinungen häufig emotionale Rückendeckung – sie sind ein Beispiel für alles, was wir denken und tun und mit sehr viel Energie verbunden ist. Mithilfe unserer Meinungen verfestigen wir die Dinge und helfen Ihnen auf Kosten anderer zum Sieg.

Das macht sich besonders in sozialen Aktivitäten bemerkbar. Problem an der Sache: Immer, wenn wir mit Aggression unsere Meinung durchsetzen wollen, kommt es nur zu weiterer Aggression. So „richtig“ die eigene Meinung auch sein mag… Es ist wichtig, das Gegenteil zu tun: Gewaltlosigkeit zu üben. Und das macht man am besten, indem man seine Meinungen als seine Sicht der Wirklichkeit anerkennt. Es geht nicht darum, Leiden und Tatsachen zu ignorieren oder nicht anzusprechen. Es geht vielmehr darum, aufzuhören, sich seinen Meinungen zu unterwerfen und das Feindbild zu verfestigen. 

Wie mit seinen Meinungen umgehen?

Zunächst einmal fängt man damit an, seine Meinungen als Meinungen zu etikettieren- und dabei in den eigenen Geist reinzuhorchen. Denn es geht nicht darum, sich für seine Meinungen zu verurteilen oder sie sich auszutreiben. Sondern es geht darum, sie zu bemerken und zu reflektieren, wie viel davon unsere eigene Sicht der Wirklichkeit ist. Wenn man bemerkt, dass man gegenüber seinen Meinungen aggressiv reagiert, gilt es auch das, lediglich zu bemerken und dann gehen zu lassen.

Von Moment zu Moment, von Tag zu Tag geht es darum, ein Bewusstsein zu entwickeln, das sich nicht an richtig oder falsch klammert. All das erfordert viel Geduld, gleichzeitig sollte man sich von Erwartungen lösen. Doch nur so kann man die Ursachen des Leidens nach und nach deutlicher erkennen und den Prozess einleiten, der zum Ende des Leidens führt.

 

Drei Übungen, um mit Schwierigkeiten umzugehen

Wir empfinden Schwierigkeiten und Lasten in unterschiedlichen Dingen. Sei es in unserer von Gier, Aggression und Unwissenheit beengten Perspektive. Sei es in unseren Mitmenschen oder dem Alltag. Oder sei in der größten Last selbst: der eigenen Persönlichkeit.

Je mehr man mit den verschiedenen Übungen des Buddhismus übt, desto mehr schafft man es sich von diesen Lasten zu lösen und zu mehr Freude und Offenheit zu finden. Es gibt im speziellen drei Übungen, die hierbei unterstützen können:

1. Nicht mehr kämpfen: Shamatha-Vipassana-Meditation

Diese Meditation entspricht der Meditation, die wir bereits kennengelernt haben. Alles, was in der Meditation erscheint, bezeichnet man als Denken und kehrt zum Atem zurück. So schafft man es mehr und mehr aufzuhören, mit seinen Umständen, Emotionen oder Launen zu kämpfen.

Auch im alltäglichen Leben gilt es diese Übung umzusetzen und mit jeder Form von Schmerz in der gleichen Weise zu verfahren. (egal ob globalem, häuslichem oder anderem Schmerz) Es geht darum aufzuhören zu hadern und Dinge als feindlich zu betrachten – damit gilt es aufzuhören und sich stattdessen zu entspannen. Je häufiger man in dieser Weise verfährt, desto mehr Weisheit und Mitgefühl entwickelt man auch mit seinen Ängsten im Alltag.

2. Gift als Medizin nutzen

Schwierige Situationen (das Gift) sind nicht schlecht an sich. Sie können uns vielmehr sogar in unserem spirituellen Weg bereichern. Eine Übung, die genau das macht, ist Tonglen (siehe Mitgefühl mit allen Lebewesen). Im Buddhismus wird in drei Gifte unterschieden: Leidenschaft, Aggression und Unwissenheit. Alle diese Gifte können Samen für Mitgefühl werden. Denn diese Gifte sind nicht nur persönliches Unglück – sondern auch Bindeglied mit allen anderen Lebewesen (bspw. wenn man Tonglen übt). Nur mit diesen Giften können wir erstehen, was es heißt, in einer anderen Haut zu stecken.

Daher gilt: unabhängig davon, was sich offenbar: alles ist nutzbar und bearbeitbar… und sogar der Weg selbst: denn es zeigt uns, wo wir noch unachtsam sind und wir erwachen können.

3. Alles, was erscheint, als erleuchtete Wahrheit erkennen

Häufig spalten wir uns selbst in eine gute oder böse Seite, sehen uns als unvollkommen an und fühlen uns schuldig. Wir sind in einem kontinuierlichen Kampf uns selbst möglichst gut darzustellen. Betrachtet man sich selbst und die Welt dagegen bereits als erwacht an, stellt man diese grundlegenden Gewohnheitsmuster auf den Kopf. Man realisiert, dass man sich nicht selbst schämen braucht und kann auf das zugehen, was man schwierig findet und sich vom Hals halten möchte.

Letztlich ist das Leben die Manifestation der Weisheit und die Weisheit die Basis für Freiheit und Verwirrung. Leid, Dunkelheit, Chaos innen und außen… all das ist Spiel der Weisheit. Die Frage ist nun, wie wir mit dieser Weisheit umgehen.

 

Die Vermählung mit der Wirklichkeit

In den letzten Kapiteln des Buches richtet Chödrön noch einmal einen radikalen Appell an den Leser: letztlich kann und sollte jeder Augenblick genutzt werden, um in der Gegenwart zu sein und die Wirklichkeit wahrzunehmen. Das größte Problem auf dem spirituellen Weg ist der Gedanke, dass wir genug Zeit hätten uns auch später um unsere Angelegenheiten zu kümmern. Zusammen mit der Tendenz, von dem, was wir gerade tun, wegkommen zu wollen, vernebelt dies unsere Wahrnehmung. An diesem Punkt versucht die Lehre anzusetzen: Sie möchte den Schrecken der Erkenntnis auslösen, wie wenig Zeit wir in Wirklichkeit haben und wie kostbar unsere menschliche Existenz tatsächlich ist.

Im tibetischen Buddhismus gibt es für genau diesen Zweck einen Pakt, zwischen Schüler und Lehrer, das Samaya-Band. Dabei handelt es sich um eine bedingungslose Beziehung zwischen beiden Parteien, die zum Ziel hat, gemeinsam die Erleuchtung zu erlangen. Diese Beziehung kann nur eingegangen werden, wenn beide Parteien sich ausreichend Zeit zuvor genommen habe und einander bedingungslos vertrauen. Das Samaya-Band beinhaltet auf fundamentaler Ebene die Verpflichtung zu geistiger Klarheit. Hier liegt Chödrön zufolge jedoch genau ein Trick verborgen:

Denn eigentlich hat man gar nicht die Wahl, ob man diese Verpflichtung zur Klarheit eingehen möchte oder nicht: Das jetzige Bewusstsein ist bereits das höchste, das es gibt. Nur die Suche nach Alternativen hindert uns daran, in diesem Bewusstsein zu leben: Wir wollen einen besseren Geist als jetzt haben und uns irgendwie herauswinden. Wir glauben eine Wahl zu haben, diese Wahl nennt sich „Ich“. Tatsächlich gleicht diese Wahl Scheuklappen, Ohren- und Nasenstöpseln. Es geht darum, die Verpflichtung zu geistiger Klarheit auf allen Ebenen einzugehen: Bezogen auf Körper, Sprache und Geist.

Samaya des Körpers

Bei dem Körper geht es darum, das, was man mit seinen Augen sieht, achtsam wahrzunehmen. Auch wenn die Wahrnehmung lebendig wird, gilt es nicht zappelig zu werden oder aufzugeben. Wenn man auch die ganz gewöhnlichen Dinge achtsam anblickt, wird die Welt lebendiger, realer, gleichzeitig aber auch substanzloser und durchsichtiger.

Samaya der Sprache

Das was für den Körper gilt, gilt auch für den Klang. Auch diesen gilt es wahrzunehmen, auch unangenehme Klänge wie bspw. ein Wecker. Jeder Klang – und sei es ein Gähnen –  hat das Potential uns aufzuwecken.

Samaya des Geistes

Auch Gedanken fließen kontinuierlich, werden aber mit der Übung präziser und substanzloser. Es gibt keine Alternative dazu, einfach dranzubleiben und sich zu entspannen.

Die Samayas werden mit dem Polieren eines Spiegels verglichen: Sobald der Spiegel poliert ist, beginnt sich auch schon wieder Staub abzulagern; das Band kann durch einen einzigen Augenblick der Ablenkung bereits verletzt werden. Jeden Augenblick gilt es zu nutzen, denn der Augenblick selbst ist unser Lehrer:

„Alle in Erscheinung tretenden Gedanken sind der Geist unseres Lehrers. An diesem Punkt werden wir mit der Tatsache vertraut gemacht, dass der Lehrer nicht von unserer eigenen Erfahrung getrennt ist. Wir erkennen, dass es zu unserer eigenen Erfahrung keine Alternative gibt. Unsere Erfahrung ist die einzige Erfahrung. Das ist der endgültige Lehrer.“

Zwischen Wunsch und Realität

Wenn wir mit den Lehren und Meditation in Berührung kommen, fühlen wir uns häufig inspiriert. Wir fühlen uns dann mit uns selbst in Kontakt und auf dem richtigen Weg.

Doch genauso oft herrscht ein gespanntes Verhältnis zwischen Anspruch aus der Lehre und unserer Realität von Müdigkeit, Hunger, Stress, Angst oder Zorn. Spätestens wenn wirklich schwierige Situationen kommen, bspw. wenn jemand stirbt oder uns unser Partner/in verlässt, scheint alles Gelernte nicht sonderlich relevant. Auch in der Meditation hat man häufig mit Problemen zu kämpfen: Man muss an jemanden oder etwas denken, man wird müde, etwas tut weh usw.

Sobald es beschwerlich wird und etwas nicht mehr unseren Erwartungen entspricht, wendet sich das Blatt. Wir denken, dass die buddhistischen Lehren und Meditation nicht der unmittelbaren Realität der Situation gerecht werden. Statt einfach da zu sein, suchen wir nach Sicherheit und Alternativen, an die wir uns klammern können. Dabei sind diese Momente genau die Momente, in denen man etwas lernen kann. (siehe Headline 13) In diesen Momenten gilt es genug Vertrauen in die Lehre zu haben. Und den Prozess und die Gewohnheitsmuster umzudrehen, mit denen wir klammern, fixieren und manifestieren. In diesen Momenten gilt es, innezuhalten, sich zu entspannen und NICHT zu reagieren. Es gilt, einfach nur präsent zu sein, ungeschützt und nicht wissend, was zu tun ist.

Man lässt sich auf das Experiment ein und lässt sich nicht von richtig oder falsch beeindrucken… und genau in dieser Situation offenbart sich der Sinn hinter den Konzepten und Worten.

 

Der Weg ist das Ziel

Der Weg selbst ist sowohl Grund, als auch die Frucht. Deswegen heißt es: Der Weg ist das Ziel.

„Der Weg ist nirgendwo verzeichnet. Er entsteht von Augenblick zu Augenblick und verschwindet gleichzeitig wieder hinter uns. Es ist, als würden wir im Zug mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzen. Wir können nicht sehen, wo es hingeht, nur, wo wir gewesen sind.“

Der Weg ist die Entwicklung der eigenen Erfahrung von Augenblick zu Augenblick. Alles, was uns heute begegnet, sei es Zorn oder Trauer, ist der Weg. Häufig sehen wir den Zorn oder die Trauer als schmerzliche Erfahrungen, die wir gerne loswerden würden. Mit dieser Vorgehensweise bauen wir eine subtile, gegen uns selbst gerichtete Aggression auf. Besser ist es, aus jedem Moment zu lernen.

Denn: Wie wir mit dem Jetzt umgehen, bestimmt die Zukunft. Die Zukunft ist das Ergebnis unseren jetzigen Tuns. Mit unserem Geisteszustand von Jetzt erschaffen wir unseren Geisteszustand von morgen.

Hinweis zu –  Buchrezension: Wenn alles zusammenbricht :
Dieser Artikel ist Teil der Artikelserie „Buchrezension: Wenn alles zusammenbricht“. In dieser Serie wird das Buch zum einen kurz vorgestellt und bewertet und zum anderen inhaltlich umfassend aufbereitet. 

Übersichtsseite zur Artikelserie:
Buchrezension: Wenn alles zusammenbricht

Inhaltliche Zusammenfassung:

Abbildung von Meditationsspickzettel und Meditations-Habit-Tracker

Du möchtest meditieren lernen?

 

Dann hol dir unbedingt meinen kostenlosen Meditations-Spickzettel und Habit-Tracker!

Mit den darin enthaltenen Tipps kannst du schnell von den Vorteilen der Meditation profitieren.

Zusätzlich erhältst du einen Newsletter mit achtsamen Inspirationen aus meiner persönlichen Sammlung.

Deine Anmeldung war erfolgreich :) Bitte checke dein E-Mail Postfach.