Hinweis: Dieser Artikel ist eine Ergänzung zu dem Artikel: „Buchrezension: Wenn alles zusammenbricht

Die acht weltlichen Dharmas

Wie im ersten Kapitel dieser Zusammenfassung beschrieben, ist die Grundlage jeglichen Leids unser menschlicher Mechanismus, angenehme Dinge zu suchen und unangenehme abzulehnen. Die acht weltlichen Dharmas (eine Lehre aus dem Buddhismus) sind eine Systematisierung dieser Dinge. Die Dharmas sind Gegensatzpaare und beinhalten je vier Dinge, die wir mögen und nach denen wir süchtig werden und vier, die wir nicht mögen und entsprechend vermeiden möchten. Solange man sich in den Dharmas bewegt, leidet man und steckt in Samsara (dem Daseinskreislauf) fest. Die Dinge respektive Paare lauten:

  • Vergnügen – Schmerz
  • Lob – Kritik
  • Ruhm – Schande
  • Gewinn – Verlust

Fühlt man sich wohl, kreisen die Gedanken um Dinge, die man mag und mit den oben genannten Dingen zusammenhängen. Fühlt man sich unwohl, kreisen die Gedanken dagegen um Dinge, die man nicht mag. In der Konsequenz führt das dazu, dass die eigenen Stimmungen davon abhängen, wie man die Dinge einkategorisiert und interpretiert. Dazu gibt Chödrön ein Beispiel:

„‚Nehmen wir Lob und Tadel. Jemand kommt auf uns zu und sagt: „Du bist alt.‘ Wenn wir Alter für eine erstrebenswerte Qualität halten, fühlen wir uns jetzt richtig gut. […] Nehmen wir aber einmal an, wir hätten uns das ganze Jahr bemüht, unsere Falten zum Verschwinden zu bringen unser Profil zu straffen. In diesem Fall fühlen wir uns zutiefst beleidigt.“

Nimmt man seine Launen unter die Lupe, erkennt man, dass es immer einen Auslöser gibt. Und dass letztlich die acht Dharmas von uns selbst erzeugt werden. Denn die Dharmas haben keine eigene Wirklichkeit, genauso wenig wie unser Selbstbild, das wir permanent neu erzeugen und zu schützen suchen.

Wie sollte man mit den Dharmas umgehen?

Erfährt man in dieser Weise von den Dharmas, könnte ein Rückschluss sein, dass man die Dharmas auslöschen sollte. Das ist jedoch nicht der optimale Weg. Stattdessen geht es darum, die Dharmas kennenzulernen und Ihre Wirkungsweise zu verstehen. Ein guter Ausgangspunkt dafür ist die Meditation (siehe Inhalt Teil I). Hier können wir unsere Emotionen und Launen wahrnehmen und untersuchen, wie sie von Vergnügen und Schmerz, Lob und Tadel usw. abhängen.

Doch auch im alltäglichen Leben kann man versuchen genau zu untersuchen, wie wir reagieren, wenn uns jemand lobt oder beleidigt, wie wir reagieren, wenn wir einen Verlust erleiden usw. In dieser Weise gilt es jedes Gegensatzpaar und letztlich uns selbst zu erforschen. Und das wirkt sich in letzter Instanz folgendermaßen aus:

Wenn wir Interesse an diesen Dingen entwickeln und sie mit der Neugier eines Kindes näher betrachten, untersuchen, wer wir sind und was wir tun, wird, was ein Problem zu seins schien, plötzlich zur Quelle von Weisheit. Eigenartigerweise beginnt diese Neugier, den so genannten Ego-Schmerz oder die Selbstsucht zu unterminieren, und wir sehen klarer. Gewöhnlich lassen wir uns von angenehmen oder schmerzlichen Empfindungen einfach davontragen. Wir taumeln in unseren gewohnheitsmäßigen Stil und nehmen nicht einmal wahr, was wirklich geschieht. […] Sobald wir diese Schemata jedoch verstehen, beginnen sie, deutlich durchsichtiger zu werden.

Chödrön betont in diesem Zuge erneut, wie wichtig es ist, Empfindungen weder abzulehnen noch zu unterdrücken. Man soll sich durchaus an Dingen erfreuen – jedoch ohne an ihnen anzuhaften (d.h. ohne daran zu leiden, wenn sie wieder verschwinden)

Verständnis der Dharmas führt zu mehr Mitgefühl

So wie im Kapitel „Frieden mit sich selbst schließen“ beschrieben wurde, dass Mitgefühl mit sich selbst in letzter Instanz auch zu mehr Mitgefühl mit seinen Mitmenschen führt, so führt auch ein besseres Verständnis der Dharmas zu mehr Mitgefühl.

Denn auch hier gilt: Sobald wir einsichtiger und mitfühlender gegenüber unseren eigenen Abhängigkeiten werden, desto mehr verständnisvolle Zärtlichkeit empfinden wir auch für unseren Mitmenschen. Denn man realisiert, dass alle Menschen in Hoffnung und Furcht gefangen sind. Während am Anfang der Übung also Einblicke in das eigene Herz und den eigenen Geist ausschlaggebende Motivation sind, geht es mit zunehmender Übung mehr und mehr darum, anderen Menschen zu helfen.

 

 

Umgang mit besonders schmerzhaften Emotionen

In dem Kapitel zuvor wurden anhand der Dharmas alle für uns angenehmen und unangenehmen Dinge dargestellt.Diese Dinge sind Ausgangspunkt für unsere Empfindungen. In diesem Kapitel soll darauf aufbauend der Umgang mit besonders schmerzhaften Emotionen aufgezeigt werden. Im Spezifischen: mit der Einsamkeit

„Bestimmte Gefühle können […] besonders stark mit der Gier nach Lösungen aufgeladen sein: Einsamkeit, Langeweile und Angst.“

Ein guter Umgang mit Einsamkeit zeichnet sich durch sechs Merkmale aus:

1. Man hat weniger Begierden

Darunter fällt die Bereitschaft, ohne Lösung einsam zu sein, auch wenn alles in uns nach Aufheiterung und Ablenkung schreit. Verfährt man in dieser Weise, wird man nach und nach die grundlegende Ruhelosigkeit vermindern. Das Ganze ist dabei ein Prozess:

„Wenn sich also die ganz heiße Einsamkeit einstellt, und es gelingt uns heute, 1,6 Sekunde mit dieser Ruhelosigkeit zu sitzen, wo es uns gestern nicht einmal für eine Sekunde gelungen ist, dann ist das der Weg der Kriegerin und des Kriegers.“

2. Zufriedenheit

Man ist zufrieden auch ohne Bezugspunkte. Normalerweise haben wir Angst vor allem, für das es keine Lösung gibt. Angst davor, keinen Bezugspunkt zu haben, an dem man sich festhalten kann, der einem Sicherheit gibt. Wenn man aufgibt zu glauben, dauerhaftes Glück finden zu können, wenn man seiner Einsamkeit entkommt, verändert man sich. Und man schafft es damit zufrieden zu sein, präsent zu sein. Auch hier handelt es sich um einen Prozess:

„Gewöhnlich müssen wir diesen Glauben eine Million Male aufgeben, müssen uns wieder und immer wieder mit unserer Sprunghaftigkeit und Angst anfreunden, müssen derselben alten Gewohnheit eine Million Male mit Bewusstheit nachgeben. Dann beginnt sich eine Veränderung abzuzeichnen, ohne dass wir sie anfangs überhaupt wahrnehmen.“

3. Vermeiden unnötiger Aktivität

Damit ist gemeint, nicht unruhig zu werden, durchzudrehen und nach einer Lösung zu suchen. Denn das ist nur eine Art Hilfe, um sich beschäftigt zu halten, um den Schmerz nicht spüren zu müssen. Besser ist es, sich in der Einsamkeit zu entspannen

4. Vollständige Disziplin

Mit vollständiger Disziplin ist die Bereitschaft gemeint, jede Möglichkeit zu nutzen, um zum gegenwärtigen Augenblick zurückzukommen. Es geht darum bereit zu sein, stillzusitzen und einfach da zu sein, allein zu sein.

5. Nicht in der Welt der Begierde wandern

In der Welt der Begierde suchen wir nach Alternativen und nach Trost. Das können bspw. Speisen, Getränke oder Menschen sein.

„Das Wort Begierde zeigt die Suchtqualität, die Art und Weise, mit der wir nach etwas greifen, weil wir nach einer Möglichkeit suchen, die Dinge in Ordnung zu bringen.“

Stattdessen geht es jedoch darum, die Dinge so zu akzeptieren wie sie sind. Letztlich ist Einsamkeit kein Problem und bedarf entsprechend keiner Lösung.

6. Keine Sicherheit vom diskursiven Denken erwarten

Man sucht nicht die fortlaufende Konversation, in der man erörtert, ob etwas richtig ist oder nicht, ob etwas ist oder nicht ist. Vielmehr erwartet man von diesem Denken keine Sicherheit und benennt es schlicht als „Denken“.

Wenn man in der Form Einsamkeit begegnen kann, schafft man es einen aufrichtigen Blick auf den eigenen Geist zu werfen. Und Einsamkeit ist keine Bedrohung mehr und Leiden keine Strafe.

 

 

Drei Wahrheiten unserer Existenz

Im Buddhismus gibt es laut Chödrön drei Wahrheiten, die unsere Existenz ausmachen: Vergänglichkeit, Leiden und Ich-Losigkeit. Diese Wahrheiten würden oft als schmerzhaft aufgefasst, was per se aber nicht vollständig richtig ist: Diese Auffassung rührt im Wesentlichen (erneut) von unserem Bedürfnis nach Sicherheit. Tatsächlich könne man diese Wahrheiten auch als sehr positiv auffassen.

Angefangen mit der Vergänglichkeit: Letztlich ist Vergänglichkeit die Essenz von allem und auch der Grund dafür, dass wir uns überhaupt weiterentwickeln und verändern können. Nur durch die Vergänglichkeit ist es bspw. möglich, dass aus Babys Kinder und aus Kindern Erwachsene werden.  Vergänglichkeit ist also an sich nicht negativ, unser Umgang mit ihr dagegen schon: Denn wir können nicht akzeptieren, dass Dinge sich verändern. Und dadurch, dass wir uns gegen die Vergänglichkeit wehren, verlieren wir die Harmonie: Wir sind nicht mehr in Harmonie mit der Wirklichkeit.

Tatsächlich ist ein Großteil unseres Leidens genau durch diese Angst vor der Vergänglichkeit bedingt. Wir realisieren nicht, dass Glück und Leiden zwei Seiten einer Medaille sind. Und dass es darum geht, keiner Seite den Vorzug zu geben, sondern angemessen mit dem umzugehen, was wir vorfinden. Denn alles hat seine Daseinsberechtigung: Inspiration heitert uns auf und verbindet uns mit der Welt, Jammer macht uns demütig und unser Herz weicher.

Ich-Losigkeit mutet zunächst ebenfalls negativ an. Näher betrachtet ist Ich-Losigkeit jedoch ein Zustand, der uns befreit. Man ist nicht mehr mit sich selbst beschäftigt, sondern ist wach und erlebt „unkonditioniertes“ Sein, unabhängig davon, wo man gerade ist. Normalerweise empfinden wir ein „Ich“ oder „Ego“… beides überlagert die Ich-Losigkeit, die sich durch vollständiges Vertrauen in die Welt auszeichnet. 

Wie man die Wahrheiten im Alltag lebt

All diese Wahrheiten lassen sich auch im Alltag leben. Vergänglichkeit zeigt sich tagtäglich in einer Vielzahl von Situationen. Dann, wenn die Sonne aufgeht, wenn eine Blume blüht, wenn wir glücklich sind, wenn wir unglücklich sind… alles ist vergänglich.

„Vergänglichkeit als Vergänglichkeit zu erkennen ist eine Vierundzwanzig-Stunden-Übung.“

Vor allem gilt es auch, die eigene Reaktion auf die Vergänglichkeit zu untersuchen. Wie sieht meine gewohnheitsmäßige Reaktion auf etwas aus? Bin ich wütend, entzückt oder begeistert? Auch mit dem Leiden gilt es in ähnlicher Weise zu verfahren. Es geht darum alles, was einem widerfährt und einen leiden lässt, zu untersuchen und zu beobachten. Wie reagiert man auf etwas? Wie läuft der Prozess zwischen Impuls und Reaktion ab?

Ich-Losigkeit offenbart sich häufig von allein: Sei es in Form von Frische, Offenheit und Freude an den Sinneswahrnehmungen. (bspw. die klare Wahrnehmung eines Geruchs). Sei es immer dann, wenn sich in unseren Selbstgesprächen eine Lücke ergibt. Oder dann, wenn man seine Bezugspunkte und sich selbst verloren hat. Gerade in solchen Situationen entdeckt man häufig die Ich-Losigkeit. Und dann liegt es an einem selbst, ob man bereit ist, in dieser Situation zu bleiben und einfach nur wahrzunehmen oder man sich ganz schnell wieder verschließt.

 

 

Die vier Hindernisse

Die zuvor beschriebenen Gewohnheitsmuster Angenehmes zu suchen und Unangenehmes zu meiden sind letztlich Strategien, um der Gegenwart und den Dingen auszuweichen. Diese Strategien werden in der buddhistischen Lehre in Form der vier Maras gebündelt. Die Maras sind folgendermaßen unterteilt: 

1. Devaputra-Mara: Suche nach Verlangen

Immer, wenn wir verlegen oder peinlich berührt sind, tun wir alles, um uns wieder wohl zu fühlen. So gehen wir mit jeglicher unangenehmen Erfahrung um: Wir versuchen Leid zu vermeiden und schnellstmöglich etwas Angenehmes zu fassen zu bekommen. Das kann sich im Konsum von Alkohol oder Drogen, Fernsehen oder sonstigem äußern.

„Jemand hat einen Pfeil abgeschossen […], statt ihn sich in eine Blume verwandeln zu lassen, laufen wir im panischen Versuch, auf irgendeine Weise zu entkommen, davon.“

Tatsächlich bietet sich in der Suche nach Vergnügen eine Gelegenheit, das eigene Verhalten im Angesicht des Schmerzes zu beobachten. Es geht darum, das Herz zu öffnen und den eigenen Fluchtimpuls zu beobachten. Sich einzugestehen, dass man schwach ist und zu erkennen, dass das was hässlich erscheint, Quelle von Weisheit ist.

2. Skandha-Mara: Aufrechterhalten des Selbstbildes

Bei dem Skandha-Mara geht es darum, wie wir reagieren, wenn wir uns in einer Krise befinden und gewissermaßen den Boden unter den Füßen verlieren. In der Regel versucht man so schnell wie möglich sein vertrautes Ich zurückzubekommen, selbst mit allem Zorn, Angst und der Verwirrung. Wir wollen lieber das Bekannte, ggf. Leidvolle zurück, statt uns dem Unbekannten zu öffnen und die Dinge einfach so zu lassen, wie sie sind.

Besser ist es, dass man sich bewusst wird, wie man sich immer und immer wieder nach einem festen Selbstbild neu zu erschaffen versucht. Statt weiterhin in dieser Weise zu verfahren, öffnet man neugierig dem Geschehen und beobachtet, was passiert.

3. Klesha Mara: Nutzung unserer Emotionen, um uns schlafend oder unwissend zu halten

Wir dramatisieren Emotionen und vergrößern sie selbst. Wir wollen sie nicht loslassen und vergessen alles, was wir in der Meditation gelernt haben. Im Vergleich zu Emotionen sind alle Lehren und Glaubenssätze machtlos. Wir benutzen unsere Emotionen, um zu leugnen, was vor sich geht, um uns über die Wahrheit hinwegzutäuschen.

Besser ist es, in der emotionalen Energie sitzen bleiben, meditieren und sie vorbeiziehen lassen – das führt dazu, dass man sanfter wird, sich mit sich selbst anfreundet und mit allen anderen Menschen

4. Yama Mara: Angst vor dem Tod

Wir halten ein Leben für gut, wenn wir alles im Griff haben und uns für einen guten Menschen halten. Wir glauben daran, dass alles vollkommen sein wird, wenn wir genug meditiert, gejoggt oder uns perfekt ernährt haben. Das ist in Wahrheit aber der Tod: Denn in der Suche nach Sicherheit, sich zufrieden oder bequem zu fühlen, fehlt der Raum. Der Raum für den Augenblick. Und man sorgt selbst dafür, dass man scheitern wird: Denn irgendwann kommt eine Erfahrung, die man nicht kontrollieren kann. Das Vorgehen hat etwas Aggressives: Man zwängt das vergängliche, unsichere Leben in ein festes, sicheres Korsett. Wahres Leben ist dagegen die Bereitschaft, sich jedem Augenblick zu stellen, immer wieder aufs Neue zu sterben. In Wahrheit ist daher Yama-Mara nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst vor dem Leben.

Richtiger Umgang: Wir empfinden, was wir empfinden und wir nehmen wahr, was wir wahrnehmen. Wir stellen uns den Situationen und flüchten nicht vor der Erfahrung.

„Wenn wir unsere Reaktionen auf die verschiedenen Pfeile und Speere aufrichtig betrachten, können wir immer wieder zum grundlegenden Weisheitsgeist zurückkehren. Statt etwas loswerden zu müssen oder dem dualistischen Gefühl, angegriffen zu werden, nachzugeben, nutzen wir die Gelegenheit, um zu beobachten, wie wir uns verschließen, wenn wir unter Druck geraten. Das ist der Weg, unser Herz zu öffnen. Auf diese Weise wecken wir unsere Intelligenz und verbinden uns mit der grundlegenden Buddha-Natur.“

Hinweis zu –  Buchrezension: Wenn alles zusammenbricht :
Dieser Artikel ist Teil der Artikelserie „Buchrezension: Wenn alles zusammenbricht“. In dieser Serie wird das Buch zum einen kurz vorgestellt und bewertet und zum anderen inhaltlich umfassend aufbereitet. 

Übersichtsseite zur Artikelserie:
Buchrezension: Wenn alles zusammenbricht

Inhaltliche Zusammenfassung:

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